Zwischenruf zu Peter Handkes „Geschichte des Dragoljub Milanovic“ im Presse-Spectrum
vom 5.8.2011
Da steht einer auf der Kanzel und klagt, dass
er keine Kirche hat und keine Zuhörer, dass er zum Chorgestühl, den Betschemeln
und dem leeren Opferstock predigen muss, vielleicht sogar nur zu sich selbst.
Ich habe kein Gegenüber, greint er, niemand will meine Geschichte hören, sie
ist doch so dringend, stark und wahr. Dabei ist das Gotteshaus gut gefüllt und
die willig Lauschenden zu seinen Füßen wundern sich: sind wir etwa nicht die Richtigen, die gekommen sind? Und dass ausgerechnet
der wahrhafteste und demütigste aller Prediger, Meister Eckhart, als Zeuge für eine
solche Epistel herhalten muss, das haut dem Weihwasserfass den Boden aus.
„Was
mich zum Schreiben gezogen hat, war ein Gefühl überwältigender Liebe, wobei ich
nicht wusste, was ich damit anfangen sollte. (...) Aus unbestimmter Liebesfülle
hat es mich hingezogen zur Schrift. (...) Man möchte jemanden umarmen, und
dieses Umarmen ist dann das Schreiben.“( Interview A. Müller, 1989) Im Spectrum
hat Peter Handke, wie immer liebend, nicht aber wie sonst die Welt umarmt, sondern
diesmal bekommt die unbestimmte Liebesfülle
ein gewisser Dragoljub Milanovic ab, derzeit einsitzend im Gefängnis von
Pozarevac, Nordost-Serbien. Ein Belgrader Gericht hat den früheren Direktor des
staatlichen serbischen Fernsehens RTS (in Handkes Poetologie: staatlichserbisch)
verantwortlich gemacht für den Tod von
16 Menschen und ihn zu 10 Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als
erwiesen an, dass er gegen besseres Wissen das Fernsehgebäude nicht räumen ließ
und die Angestellten bei Androhung der Kündigung zur Arbeit zwang. In der Nacht
vom 22. auf den 23. April 1999, mitten im Kosovo-Krieg, zerstörten zwei NATO-Raketen das Belgrader
Fernsehgebäude:16 Angestellte starben, 16 wurden verletzt, drei davon schwer.
Was soll heißen: gegen besseres Wissen? Ganz Belgrad wusste von der
Bombenwarnung gegen RTS, sie war öffentlich bekannt gemacht worden, die Bewohner
der umliegenden Häuser zogen aus, CNN hatte am 21. April seine Studios
verlassen. Die damaligen Mitarbeiter des ORF-Belgrad erfuhren noch am selben
Abend über Reuters von der bevorstehenden Bombardierung. Sie sollten
Vizeregierungschef Vuk Draskovic interviewen, der ebenfalls informiert war: „Sind
Sie wahnsinnig geworden oder lebensmüde? Doch nicht im RTS!“ Um 19h montierte
und überspielte der ORF-Cutter noch einen Beitrag für die Zib 2, Raimund Löw
kommentierte. Um 2.06h früh stand das Gebäude nicht mehr, 16 Mitarbeiter tot,
16 verletzt, 3 davon schwer, (ich wiederhole es!), weil Direktor Milanovic die
Evakuierung verweigert hatte. Er selbst war nicht anwesend in der Aberdareva-Straße
im Belgrader Stadtzentrum. Seine Beweggründe hat er im Prozess nicht enthüllt. Das
Gericht stellte 2002 fest, dass der TV-Direktor gemäß den Sicherheitsregeln der
Regierung die Mitarbeiter nach Hause hätte schicken müssen, dies aber aus
ideologischen Gründen nicht getan habe, um die Zahl der zivilen Opfer zu
erhöhen und damit die NATO zu diskreditieren.
Deutlich erinnere ich mich an das
Silvester-Programm von RTS rund ums Neujahr 1994/95. Die Lage war dramatisch, da NATO-Schläge
angekündigt waren, nachdem die UNO die
serbischen Belagerer von Sarajewo und sechs anderen bosnischen Städten
aufgefordert hatte, die schweren Waffen aus einem Umkreis von 20 Kilometern
abzuziehen. Obwohl Radovan Karadzic diese UNO-Resolutionen unterschrieben hatte,
rief er seine Anhänger dazu auf, sich auf Straßen und Brücken im Protest zu versammeln und
den NATO- Bomben zu trotzen. Ratko Mladic steuerte das Seine dazu bei: er ließ
rund 400 UNO-Soldaten entführen und kettete sie an Brückengeländer und Masten,
in dem Sinne: kommt nur und bombardiert eure eigenen Leute. Bizarr? Nein,
damals Alltag in RTS, rund um die Uhr und live, TV-Direktor war Dragoljub
Milanovic. Zur Schande für den später ermordeten Zoran Djindzic, stand auch er
damals Hand in Hand mit Karadzic auf der
Autobahnbrücke von Pale und betete die NATO-Bomben herbei, die erst sechs Monate später kamen. Das scheint
mir das Vorleben zu Handkes „Geschichte“ von Dragoljub Milanovic und seinen Abzugsbildern
zu sein: Ich lasse meine 120 Mitarbeiter im Gebäude, dann werden „Bill und
Tony“ (Clinton und Blair) nicht bombardieren, oder wenn doch, dann stehen sie
als Mörder in der internationalen Öffentlichkeit am Pranger, so wie Handke vom
Sieg der „Westmächte“ (ein altes Kommunisten-Wort übrigens) über das kleine,
unschuldige, in der Geschichte immer richtig liegende, vom Westen mutwillig
auseinander gebombte Serbien spricht. Und wieder kein Wort, kein einziges, zu
den Kosovo-Albanern, wie schon damals im November 1995, als er - wohlweislich nach
dem Krieg- einen halben Fuß über die Drina setzte und die bosnischen Opfer aus
seiner Wahrnehmung aussparte oder verhöhnte (die “Leidensposen und
Martermienen“ der bosnischen Lagerhäftlinge, Gerechtigkeit für Serbien S 41). Noch einmal: 16 Getötete, 16 Verletzte, drei
davon schwer. Schrecklich. Amnesty International stuft dieses Ereignis als „ungesühntes
Kriegsverbrechen“ ein, und ich stimme zu. Es muss untersucht und vor den
internationalen Gerichtshof gebracht werden, wie es zur Schreckensnacht vom 23.
April 1999 kam. Das wird aber nur eine demokratische Regierung Serbiens innerhalb
des europäischen Verbandes leisten können, mit Hoffnung auf beides. Handke erzählt
in diesem Vorabdruck seines neuen Buches, wie er Milanovic zweimal im Gefängnis
besucht, einmal mit einer internationalen Delegation und einmal allein mit
seinem Übersetzer. Er geht mit all seiner dichterischen Liebe vor diesem
Märtyrer in die Knie, umarmt ihn mit Worten, erfühlt seine „Kindlichkeit
jenseits von Schuld und Unschuld“, legt ihm tröstend die Hand auf und tauscht Verse
mit ihm aus. Gruß von Elfriede Jelinek: „Das nenne ich Dichtung! (...) Ohne
sich zu zügeln, sagt einer etwas. Er wird nicht bestraft.“ (O Wildnis, o Schutz
vor ihr.) Und auch an Kafka: „Schriftsteller schreiben Gestank“ (Tagebücher aus
dem Jahr 1910). Wenn das nicht nach Kriegspornographie stinkt, dann nach Kriegskitsch.
Wer Handke mit Fakten kommt, den verspottet er als „Realitäts-Tümler“ und
„Seins-Nichtse“ (Kindergeschichte), Handke ist ja ein Dichter, die Politik ist
ihm pfui, die Illusion ist ihm rein und wahr, nur die Wirklichkeit stört die
Wahrheit. Darum kann er auch behaupten, Milanovic sei der einzige wegen des
Kosovo-Kriegs Verurteilte. Die Generäle der JVA (Jugoslawische Volksarmee)
Nebojsa Pavkovic und Momcilo Perisic sitzen
für den Massenmord an Kosovo-Albanern mit langen Haftstrafen zwar nicht „im
eigenen Land“ wie Milanovic ein, sondern in Scheveningen. Wer ist Dragoljub
Milanovic, für dessen Freilassung Handke seit einem Jahr eine internationale
Kampagne betreibt und diesem nun ein ganzes Buch (90 Seiten) widmet? ( am 28.
Aug. bei Jung&Jung) Der aus dem Kosovo stammende Milanovic studiert in
Pristina südslawische Literaturen, arbeitet dann als Journalist bei TV-Pristina
und Politika Ekspres in Belgrad, beide aggressive Trommler der
Anti-Albaner-Politik des Slobodan Milosevic. Kurz vor seiner Auflösung wird er
1989 zum Parteisekretär des Bundes der jugoslawischen Kommunisten gewählt (BdKJ), zu
Beginn des Bosnienkriegs 1992 Chefredeakteur, 1995 TV-Direktor, eine der
wichtigsten Machtpositionen im Milosevic-Regime und die flächendeckende
Kriegstrommel des Landes. Milosevic brauchte kein Propaganda-Ministerium, er
hatte RTS. Eine einzige richtige Aussage enthält der Handke-Text: „Der Sender
war ein Symbol, stärker als Slobodan Milosevic“, weil seine nationalistischen
Einpeitscher schärfer waren als der Auftragsgeber selbst. Wegen des
Zusammenbruchs des Zeitungsmarktes und der Knebelung der Oppositionsmedien war
RTS mehr als ein Jahrzehnt die einzige „Informationsquelle“ für 99% der
Bevölkerung und neben Polizei und Geheimdiensten die mächtigste Stütze für
Milosevics Machterhalt. Den unabhängigen Sender B-92 konnten gerade mal 300 000
Belgrader sehen, die oppositionelle
Tageszeitung „Nasa borba“ (Unser Kampf) und das Wochenmagazin „Vreme“ (Die
Zeit) hatten zusammen eine Auflage von maximal 130 000. RTS instrumentierte
nicht nur die nationalistische Hetze gegen andere Ethnien, es organisierte auch
immer diensteifrig Milosevics Wahlbetrügereien, Bankenabzocke und
Hyperinflation. Dagegen nie gezeigt hat RTS Bilder von der Zerstörung Vukovars,
der Einnahme von Knin, der ethnischen Säuberungen in der Krajina, Ostslawonien
und Bosnien, von der 1250 Tage dauernden Belagerung Sarajewos mit 11 000 Toten,
von den Flüchtlingsströmen der Krajina-Serben, die nicht nach Belgrad gelassen,
sondern in den Kosovo abgeschoben wurden, von der Ermordung der 8000 Bosniaken
aus Srebrenica, von der hungernden und frierenden Bevölkerung in Serbien
während der Stromabschaltungen in den kalten Wintern 1993 und 94, von den
Streiks der zwangsbeurlaubten Arbeiter von Kragujevac, von den Blockadebauern
der Wojwodina, von den rund 300 000 jungen Serben, die lieber überallhin in die Welt emigrierten, als sich
in den Krieg schicken zu lassen, meistens die Elite, von den Mafiastrukturen
der Geldwechsler und Nachtclubbesitzer, der Benzin-, Zigaretten- und
Autoschmuggler, von den Zehntausenden traumatisierten Kriegsteilnehmern und
Invaliden, die der Staat in ihrem Elend allein ließ, von den trauernden Eltern,
deren Söhne in den Kriegen verheizt wurden - kein Bild, kein Wort. Wenn das Elend
der eigenen Bevölkerung vorkam, dann wurden die UNO-Sanktionen, die
„Westmächte“ die NATO, die BRD („das 4.
Reich“ in der Propagandasprache von RTS), der Vatikan, die kroatischen Ustaschen,
die deutschen und österreichischen Außenminister Genscher und Mock, die „Mudschaheddin“ vulgo die „Türken“ (in der Hasssprache von
RTS für Bosniaken, die Handke „Muselmanen“ nennt) dafür verantwortlich gemacht,
selbstredend nie das Regime. Vuk Draskovic prägte – nach seiner reuigen Abkehr
vom Nationalismus - den Begriff vom „TV-Bastille“ für das staatliche Fernsehen.
In seltener Einigkeit rannte die Opposition mit zahllosen Demonstrationen und
Belagerungen erfolglos gegen TV-Bastille an als die Speerspitze des künstlich
erzeugten Nationalitätenhasses und der Volksverdummung. Die
nicht-nationalistischen Milosevic-Gegner forderten schon lange vor Gründung des
Haager Tribunals Gerichtsprozesse gegen die Schar der Schreibtischtäter und
Kriegsprofiteure vom Schlage des Herrn Milanovic. So stellte etwa die
Dramaturgin Borka Pavicevic ihren Theaterbetrieb aus Protest gegen Milosevic
ein und gründete in einem Belgrader Hinterhof das „Zentrum für kulturelle Dekontamination“
oder demonstrierten die „Frauen in schwarz gegen den Krieg“ jeden Mittwoch um
15h am Platz der Republik in Belgrads Zentrum, wo sie von Leuten wie Milanovic
beschimpft und angespuckt wurden.
Jeder Leser des Handke-Pamphlets – so auch
ich- möchte den Schriftsteller fragen, was ihn schon so lange Jahre fasziniert an diesem verbrecherischen Regime, warum er
freundschaftliche Kontakte zu dessen abscheulichsten Vertretern hegt und pflegt.
Was ist es, das Sie nicht los lässt, Herr Handke? Warum fühlen Sie sich so
angezogen von dem jetzt zum Glück der Vergangenheit angehörenden Unrechtsregime
und seinen Handlangern? Warum gelten Ihr Mitleid und Ihr Gerechtigkeitssinn
immer den falschen Leuten? Und wenn einmal die Zeit kommt- hoffentlich bald-,
in der auch die letzten Milosevic-Schergen, die Karadzic- und Mladic- und
Hadzic-Verstecker, die Djindzic-Mörder und Draskovic-Attentäter, die
Journalisten-Entführer und -Verprügler, die orthodoxen Waffen-Segner und die Jungen-Männer-an-die-Front-Verschlepper
entlarvt sein werden oder ihnen das Geld ausgeht, dann werden auch diese Frage
geklärt sein.
Könnten
Sie Ihrer Kollegin Herta Müller in die Augen schauen und ihr die Hand geben
(was sie wahrscheinlich nicht tun würde), wenn sie sich öffentlich entsetzt,
trauert und ihren Schmerz zeigt über den Verrat von Oskar Pastior? Oder gar die
Vorstellung, Herta Müller spazierte mit den Schergen des Ceaucescu-Regimes
durchs schöne, arme Rumänien und schriebe ein Buch nach dem anderen darüber?
Aber halt, Herta Müller ist ja ein Opfer, Handke ist ein Nutznießer. Serbien
sells. Wie verräterisch Sprache doch ist! Genau wie RTS apostrophiert Handke in seiner
Milanovic-Verteidigung Blair und Clinton mehrmals als „Tony und Bill“: die
Ansprache mit den Vornamen gibt eine Vertrautheit mit den Personen vor, die man
dann getrost als persönliche Feinde hassen darf; gleichzeitig werden sie wegen
ihrer vermeintlichen Banalität herabgewürdigt und des politischen Gewichts
beraubt - eines der typischen Kennzeichen
für die menschenverachtende Sprache der Kriegsmedien, so wie der bosniakische
Präsident Izetbegovic vom RTS als „Alija“- ein eindeutig moslemischer Name - immer nur die tiefste Verachtung abbekam.
Der
serbische Schriftsteller Aleksandar Tisma hat auf meine Frage über Peter
Handkes erstes
Serbien-Buch „Eine winterliche Reise zu den
Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“, Suhrkamp
1996) weise lächelnd geantwortet: „Über
Narren spricht man nicht.“ Und nachdem Handke Jahre später darauf aufmerksam
gemacht worden war, dass er neben dem nationalistischen Schriftsteller Milorad
Pavic, mit dem er 1995 eine Reise ins südserbische Kloster Studenica (ebd. S
76ff) unternahm, vielleicht sich auch mit dem international angesehenen Tisma sehen
lassen sollte, drängte er sich bei ihm ins Haus. Tisma darüber resigniert: „Was
sollte ich machen? Man hat ihn mir gebracht. Es war ein Überfall.“ Und warum
hat Tisma in seinem Roman „Der Gebrauch des Menschen“ dem schrecklichsten KZ-Wärter der gesamten
Literatur den Namen Handke gegeben, fragte ich ihn: „Das müssen Sie schon
selbst heraus finden.“
Vielleicht wird Aleksandar Tisma auch nicht
mehr umarmt. Vielleicht wurde ihm die „unbestimmte Liebesfülle“ entzogen, ist
er ein „Unnützer“ geworden, so wie Thomas Bernhard in der Kleinen Zeitung am
14.8.2011 von Handke hingerichtet wird: „Thomas Bernhard ist Sand. Mit Thomas
Bernhard kann man nichts bauen. Der ist Sand. Unnützer. Treibsand.“ Ein Seins-Nichts. Ein Unnützer muss beseitigt
werden. Treibsand ist tödlich. So funktioniert Hass-Sprache.