Conny
Hannes Meyer
abseits der wunder
Ein Gedicht
Verlag Bibliothek der Provinz
Artikel für website von Conny Hannes Meyer
Es muss etwas passiert sein, etwas
Schreckliches, eine Katastrophe. Die
Welt ist zerstört und unbehaust, ein Schlachthof, die Menschen sind
unmenschlich, ein Abschaum wie aus Rattenlöchern, die Sonne ist
gefesselt, der Himmel vergittert und flirrend von Fleischfliegen. Ein Mensch wandert durch
diesen Trümmerhaufen und schleudert seinen stummen Hass gegen die
verschlossenen Türen. Das hohle Tock-Tock des Einbeinsoldaten mit Krückstock
schallt durch die versifften Hinterhöfe. Da kehrt einer zurück aus der
Apokalypse in eine unerträgliche Gegenwart. Das große Morden ist gerade erst
vorüber. Er ist jung und voll Hass auf
alles Althergebrachte. Dieses Ich ist aber keineswegs stumm, wie es von sich
behauptet, sondern wortgewaltig, wortgewalttätig.
„Friedlich hinter bunten butzenscheiben
niedlichen wachsfigurengrippen
bauernkrügen steinmadonnen elfenbeinkönigen
eisernen streitkolben leiderpeitschen
reiterpistolen
krummschwertern brustpanzern kettenringhemden
dolchen (...)
grünspanige totschlägerorden metzgermedaillen
mordauszeichnungen mit staatswappen
die deckt kein seidenfächer zu
keine gesangsvereinsfahne
zinnerne würfelbecher damenkämme aus japan und
zigeunerketten (...)
auf grünem biedermeierstuhl steht steif
die abschiedsbriefkassette
im sanften holztruhmoder weihrauchruch
verrostet
und das habt ihr uns hinterlassen
zinnsoldaten und massenmord
negerpuppen und rassenhass (.)“
So sieht die Welt des Heimkehrers aus. Aber
anders als der Borchardt`sche Beckmann
hadert er nicht mit der Welt und mit Gott,
sondern nennt die Schuldigen beim Namen, nennt die, die in die Katastrophe
geführt haben und danach nichts davon wissen wollen, nichts einsehen und nicht
bereuen, weitermachen und sondern so
tun, als wäre nichts geschehen.
Anders als Beckmann, den sogar das Wasser, in
das er geht, wieder ausspuckt (Gott will
seinen Selbstmord nicht annehmen), den seine frühere Geliebte vor die Tür setzt
(ein Einbeiniger ist kein Mann), wehleidig und jammernd nicht in die
Gesellschaft zurück findet, will der
Rückkehrer des Gedichts einen Neuanfang mit Kehraus, setzt seine Jugend, seine
Kraft und seinen Erkenntniswillen gegen die ressentimentgeladene und weinselige
Nachkriegsbarbarei. Er will sein Leben in die Hand nehmen; Lehrlingsausbildung
und Studium sind dem elternlosen Nobody verschlossen, er versucht sich als
Bauhilfsarbeiter, Textilvertreter, Konsumneuling, Politadepte, Armeerekrut.
Wegzugehen aus diesem Land, weit weg, irgendwohin auch nur eine Flucht, erkennt
er trotz aller Versuchungen, feig wie
die der Alten. Er durchschaut die Scheinwelten- und Alternativen und rettet
sein kleines Leben in die Phantasie, ins Kino, ins Tanz- und Rausch- und Sportvergnügen.
Es wird ihm klar, dass er da überall fehl am Platz ist.
„bleibe allein
alle lachen ich lache mit
aber ich bin nicht froh
alle singen ich singe mit
aber es klingt nicht richtig (...)
gummiwülste auf der zunge
so geh ich zurück
weiß
jetzt habe ich mich entschieden
entschieden
statt zu jammern zu handeln (...)
ab heute will ich misstrauisch sein
fragen und lernen wie nie (.)
Der Heimkehrer ist noch nicht angekommen, aber
er hat ein Ziel gefunden
„eine Zeit kommt
mit kammerkonzerten wilden fragen und
gebeugtsein über bücher
voll wissenwollen bildgalerien
taumelnde farben formen ernste gespräche
und das irdische paradies findet noch nicht
statt (...)
und keine fahne wird aufgezogen
keine jubelhymne angestimmt aber
die dummheit wird zum todfeind erklärt und
die unwissenheit zur schande (...)
dass die asche der ermodeten verbrannten nicht
schreit
und die gekreuzigten nicht immer wieder
immer wieder an das kreuz geschlagen werden
der bombenangstflut wird ein damm gesetzt
und dem schicksal ein denkmal:
hier ruht es
denn wir
wir sind an seine stelle getreten (.)
Das 57 Seiten-Gedicht ist ein langer, großer,
wilder Aufschrei, Trommelwirbel, Marschgedröhn mit der tock-tock-Untermalung
des Einbeinigen und der kratzenden Geige des ausgehungerten Hinterhofsängers,
sich überstürzende Wort- und Bildexplosionen, eine Symphonie von
Feuerwerksraketen, Kaskaden von
verräterischen Kleinbürgeraccessoirs in tollkühner Zusammenstellung – das
Heinkehrer-Ich registriert alles und zertrümmert alles, voll Hass und Abscheu, aber ohne jemals des Wunsch nach einer anderen
Welt aus den Augen zu verlieren mit einem angemessenen Platz darin für sich
selbst, bis er ihn gefunden glaubt – im Lernen, Kennenlernen und
Nichtvergessen. Dieser Platz wird für den Rest des Lebens das Theater sein. Das
ist der Ort, „wo er mitlacht und singt und alles richtig klingen wird.“
Der Entwicklungsroman ist schon lange als
Genre eingeführt, ein Entwicklungsgedicht, der Werdegang eines Ich in
Gedichtform ein modernes Wagnis, das C.H. Meyer gelungen ist, mit
schonungsloser Offenlegung der Nachkriegs- und Wiederaufbaugesellschaft.
Übertragbar aber auf jede Epoche, in der die nachstürmende Jugend etwas Neues
will, ihren Platz sucht und den alten Moder zerreißt.
Wien, März 2011
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