Donnerstag, 10. März 2016

Post 4 zu Forellenschlachten

Konstantin Kaiser
Stellungnahme zu Karl Wimmler
Die Vehemenz von Karl Wimmiers Polemik gegen Veronika Seyrs Jugoslawien-Buch „Forellenschlachten" überrascht mich nicht, habe ich doch im Laufe der Jahre gerade von linksgerichteten Menschen in Österreich alles mögliche Absurde über Verlauf und Ursachen der innerjugoslawischen Kriege 1991-99 gehört.
Ich kann nur auf ein paar seiner Vorwürfe eingehen. Kommen wir gleich zum Kern der Sache: Die nach eigenem Bekenntnis noch relativ ahnungslose Seyr, meint Wimmler, habe im September 1991 in Vukovar gleich gewußt, wo Gut und wo Böse seien. Die Zerstörung des mehrheitlich kroatisch bevölkerten Vukovar und die danach verübten Massaker durch serbische Truppen und Freischärler werden bis heute allgemein als barbarischer Aggressionsakt verurteilt. Wenn Wimmler hier statt serbischer Truppen jugoslawische am Werke sieht, wiederholt er nur den Etikettenschwindel des Mioievh-Regimes. Nirgends jedoch behauptet Seyr, die kroatische Seite sei die gute. Im 13. Brief z.B. erzählt sie wenig Schmeichelhaftes über kroatischen Ultranationalismus. Allerdings war für sie wie für jeden anderen des Benützens einer Landkarte Fähigen nicht zu übersehen, daß die Kriegshandlungen nicht auf serbischem Gebiet stattfanden.
Milolevis Verfassungsputsch" bestand in der 1989 von Serbien verfügten Aufhebung der Autonomie des Kosovo und der Wojwodina, die Teil der Bundesverfassung von 1974 war. Das ist bei Seyr auch so zu lesen. Sie weist auch auf die Konsequenzen hin. Wimmler tut, als wüßte er nicht, was damit gemeint sein soll.
Zeichnen eines möglichst feindseligen Bildes des ‚berüchtigten' serbischen Generals Mladic", lautet ein Vorwurf Wimmlers. In der Tat: Seyr kann diesem Kriegsverbrecher und Massenmörder nichts Sympathisches abgewinnen. Die von Wimmler denunzierte Ungereimtheit zwischen einem lachenden Ratko Mladid und einem Mladic, der nie lacht, löst sich bei unvoreingenommener Lektüre von selbst auf.
Keine Freude hat Wimmier mit Seyrs Charakteristik Slobodan Miloievis, über den Milovan Dilas sagte: „Als der Versuch Miloievis, ganz Jugoslawien zu erobern, fehlgeschlagen war, zog er die Theorie ,Großserbien' aus dem Hut - wobei er offiziell immer von der Erhaltung Jugoslawiens sprach." So auch 1989 bei seiner mit Recht berüchtigten Rede auf dem Amselfeld, in der er von bevorstehenden Schlachten sprach, die nicht mit Waffen geführt" werden, „obwohl auch solche noch nicht ausgeschlossen sind". Selbst in der von Wimmler herangezogenen Übersetzung der offiziellen „Politika"-Version der Rede ist der nationalistische Subtext nach Aufhebung der Autonomie des Kosovo unschwer zu vernehmen: „Die Zugeständnisse, die viele serbische Führer auf Kosten ihres Volkes machten, hätte kein Volk der Welt, weder historisch noch ethisch, akzeptiert." Und weiter: „So war es für Jahrzehnte. So sind wir heute auf dem Feld der Amseln, um zu sagen, dass es nicht mehr so ist." Die Serben sollten endlich wieder Herren sein im eigenen Haus; der „Sozialismus
darf eine Trennung nach Nationalität und Religion im Zusammenleben nicht erlauben". Für die entsprechende Pädagogik sorgte im Kosovo die serbische Sonderpolizei.
Von den Ereignissen in Mostar bis hin zur Sprengung der weltberühmten Alten Brücke durch kroatische Extremisten schreibe Seyr, die für die Not Sarajewos nicht genug Worte finden könne, kaum etwas, da hier die Kroaten und nicht die Serben die Bösewichte gewesen seien. Und die Verbrechen der Muslime würden bei Seyr nur am Rande erwähnt. Das unterstellt der Autorin, sie manipuliere die Leserinnen im Sinne ihres von Wimmler flugs erkannten Vorurteils über Gut und Böse in diesem Krieg.
Fragwürdig erachtet Wimmler Seyrs Auseinandersetzung mit Peter Handke - bzw. mit dessen Besuchen in Belgrad und einschlägigen Schriften. Offenbar hat Wimmler Verständnis dafür, daß man mit Handke den Internationalen Gerichtshof in Den Haag der „Siegetjustiz" zeiht und von einer „jungen südslawischen Nation" spricht, deren Existenz der 1929 zugleich mit der Königsdiktatur eingeführte Staatsname Jugoslawien (anstelle des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen, SHS) suggeriert. Ob Seyr noch nie etwas von einer „Staatsnation" gehört habe, fragt Wimmler. Selbige müßte aber nach der Verfassung des betreffenden Staates konstituierbar sein, doch davon ging die Bundesverfassung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien nie aus.
Was" (in Srebrenica) „passierte, weiß die ganze Welt", schreibt Seyi wofür sie Wimmler eines „unhinterfragten Wiederkäuens" bezichtigt. Offenbar hat Wimmier Zugang zu Informationen, die zu einem anderen als dem geläufigen Bild der Ereignisse führen. Das hätte uns alle interessiert. Er schwenkt jedoch sogleich zu der „Ungeheuerlichkeit" Seyrs ab, daß Gavrilo Princips Schüsse auf das 'Ihronfolgerpaar den Ersten Weltkrieg etc. nach sich gezogen hätten. Die zitierte Stelle ist der Beschreibung eines Besuchs im Gavrilo-Princip-Museum in Sarajewo entnommen, sie geht auf die in den Augen des Gastgebers bestehende historische Bedeutsamkeit des Mordanschlages ein. Und es folgt eine Reflexion Seyrs über das, was der Pensionist und Museumsdirektor Österreichfreundliches von sich gab. Dabei geht es aber vor allem um die Verwunderung darüber, wie ein für Princip und seine Tat begeisterter Mensch praktisch im selben Atemzug alles Österreichische überschwenglich loben kann. An sehr vielen Stellen zeigt uns Veronika Seyr derart Widersprüchliches, so in den häufig eingestreuten „Alltagssplittern" - es ist die menschliche Realität unter oder hinter
den Haupt- und Staatsaktionen, die sie affiziert.
Ich kann mir nicht helfen: Was Wimmler immer bewegt hat, sich „Forellenschlachten" als vielgängiges Mahl einer erbitterten Polemik vorzunehmen, es scheint mir ein quälend unbefriedigtes Bedürfnis, die Sache anders sehen zu können, als sie sich in der Abfolge der Ereignisse und in den Augen einer engagierten, kenntnisreichen und nachdenklichen Beobachterin, als die ich Veronika Seyr schätze, darstellt.
Ich unterstelle Wimmler, bei dem ich ein offenes Visier vermisse, daß seine Fragestellungen ganz andere sind als die Seyrs. Ist Jugoslawien nicht doch Opfer einer internationalen, vor allem von Deutschland ausgehenden Verschwörung geworden? Kann man dem, was die Medien zutage fördern, überhaupt trauen? Hat nicht die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1992 durch die Staaten der EWG und Österreich den Konflikt hervorgerufen oder verschärft?
Veronika Seyr jedenfalls hat keine Abhandlung über die Kriegsschuld verfaßt, eher eine darüber, was einen letztlich grausam sinnlosen Krieg in Gang gehalten hat und welche Folgen dieser Krieg für das Verhalten und Fühlen der Menschen im ehemaligen Jugoslawien hatte und hat. Sie schreibt über das, was sie gesehen, gehört, herausbekommen hat. Vor allem zeigt sie uns, was in einem anscheinend befriedeten Europa noch immer möglich ist, und verhehlt nicht ihr Erschrecken darüber, verschweigt nicht die Erschütterung, die ihr Weltbild dadurch erfahren hat. Sie konfrontiert uns mit einer Erfahrung, die sie den meisten von uns voraus hat. Ihre humanistische und der Aufklärung verpflichtete Haltung ist absolut vereinbar mit dem, was für die Theodor Kramer Gesellschaft, ihre Zeitschrift und ihren Verlag relevant ist.
Anmerkung Ich hatte Karl Wimmler meine Stellungnahme zugleich mit der Bitte um Kürzung seines ursprünglich allzu umfangreichen Beitrages zur Kenntnis gebracht; leider hat er daraufhin seinen Beitrag nicht nur gekürzt, sondern auch um einige Elemente bereichert—so das lange Zitat von Dragan Velikic Ich bin nicht gewillt, darauf einzugehen. Etliches stellt sich ja bei weniger voreingenommener Lektüre des Buches von selbst als unzutreffend heraus. - Im Mai 2015 hätte in der vom Aktionsradius Wien bespielten Arena Bar in Wien-Margareten eine Präsentation von Veronika Seyrs Buch stattfinden sollen, die von den Veranstaltern abgesagt wurde, nachdem ihnen K Wimmlers Polemik gegen das Buch von wem auch immer zugespielt worden war. Eine bereits zugesagte Diskussion über dieses Vorgehen, das ich als Zensur empfand, kam nicht zustande. —KK
82 ZWISCHENWELT

Post 3 zu Forellenschlachten


Post 2 zu Forellenschlachten

Karl Lubomirski - Brief, 10. Sept. 2014
handschriftl Transkript


Liebe Veronika,

Forellenschlachten. Eine ähnliche Abfolge habe ich noch nie gelesen, möchte ich nie wieder lesen. Nun sind mir auch die Griechen näher, die die Vergesslichkeit der Greise preisen.
Ich bewundere Dich nicht. Eine gewisse Scheu hindert es. Bei aller Universalität des Leides, die selbst die größte Verworfenheit noch birgt, hast Du die Kraft gezeigt, das Eine oder Andere Schöne nicht zu verdunkeln.
Es ist ein Kriegsbereicht des Bösen schlechthin (und der Dummheit). Der Handlungsort Balkan ist austauschbar. Ob Kambodscha, Vietnam, Belgisch Kongo, Korea, China, Japan usw ihre Veronikas haben, spielt dabei keine Rolle. Es ist das Böse, das politisiert (? unlesbar), wo ihm sein Umfeld günstig ist, wo seine Nährlösungen, Ignoranz, Habsucht, Mitleidlosigkeit, Nationalstolz den ......... (Lenkenden?) zu gedeihen versprechen. Nirgends fand ich Mordlust eindringlicher geschildert als in diesem entsetzlichen Buch.

2. Seite
Nirgends scheint die Trostlosigkeit größer, die Hoffnung ferner. Nicht nur was Du, sondern wie Du es erlebt hast, bleibt Deine Größe.

Forellenschlachten. Der Titel wird diesem Werk nicht gerecht. Er spiegelt die Episode, die kein umfassendes Urteil ausstößt. Dein Buch ist wichtig. Es ist ein sehr seltenes Zeugnis, ja, vielleicht das einzige, in dem man das Grauen Deiner Balkanjahre und der Balkanjahre aller
Betroffenen noch in einigen Jahrhunderten wird nachschlagen können, eben weil Du nicht von Dir ausgehst, sondern das Leid dieses Erdteils schilderst. Aber dabei bleibt es nicht, wie viel Geschichte fließt im Erzählstrom mit. Trotzdem kann man es nicht vorweg empfehlen, weil die ausgesprochene Grausamkeit zu mächtig auf den Leser wirkt. Nur ein reifer Mensch darf so viel erfahren, und auch er versinkt, wie ich in Mutlosigkeit, Schweigen, Abscheu, Trauer.
Man glaubt in meinem Alter, viel erlebt zu haben. Man hat nichts erlebt, gemessen an Deinen Jahren.
Traurig
Dein
Karl

PS: Meine Hand ist hin. Ich kann nicht schöner schreiben. Verzeih.
PS2: Die beschriebenen Orte habe ich in den 70er Jahren bereist, bis Mazedonien.
Daher ist Deine Chronik noch qualvoller. Wirst Du Dich je erholen? Und Julia?
Trotzdem habe ich beschlossen, FS zu empfehlen. Es ist zu wichtig.
Umarmung Karl

Post zu Forellenschlachten



Sehr geehrte Frau Seyr

In den nächsten Tagen wird wohl Frau Dr. Gall mit Ihnen Kontakt aufnehmen und Ihnen Ihre Aufnahme in den OeSV mitteilen.
Ich hatte vom Vorstand aus die Aufgabe, Ihr eingereichtes Buch "Forellenschlachten" zu beurteilen und auf dieser Basis Ihren Antrag zu begutachten.
Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich begeistert bin von Ihrer Leistung!
(Und dies, obgleich man mir nachsagt, ich sei "sehr kritisch", ja sogar "sehr streng".)
Ich studierte – trotz der ja alles andere als leichten inhaltlichen Kost – das ganze Buch durch, weil ich
a.) wissen wollte, ob die Autorin das außerordentliche Niveau wirklich durchhält – was zutrifft! – und
b.) begreifen wollte, wie sie es macht, auf jeder Seite authentisch zu bleiben. In diesem Bezug fiel mir zum einen die kluge Handhabung der „Doppelten Distanz“ – der Berichterstattung u n d des Briefschreibens – auf, zum anderen der, auch bei dem Schwierigsten, nie verlorene Bezug auf den Menschen und damit das dadurch stets „Gemachte“.
Aus Sicht des OeSV sind überdies sicher Ihre Ausführungen zur Sprache besonders zu empfehlen. Vereinbart wurde, dass ich nun auch die Rezension des Buchs vorbereite, welche wohl in das nächste Literarische Österreich 2016/2 aufgenommen werden wird.
Auf Ihrer Website schreiben Sie (sinngemäß), dass Sie nichts lieber machen als zu schreiben. Das verstehe ich nach ihrem Buch nicht nur jetzt sehr gut, sondern ich meine ebenso, dass Sie alle guten Voraussetzungen für ein solches Vorhaben erreicht haben.
Dann und wann bin ich mit meiner oberösterreichischen (!) und zurzeit ihrerseits Ihr Buch lesenden Frau in Wien – ansonsten in St. Florian bei Linz und in der Ostschweiz –, vielleicht können wir uns einmal kennenlernen?
Für Ihre weitere Arbeit – namentlich Ihr „Russland-“Projekt – alles Gute!
Beste Grüße Ihr Martin Stankowski