Montag, 19. September 2016

Zwischenfall in Ötsu

Im Herbst des Jahres 1890 schickte Zar Alexander III. seinen ältesten Sohn Nikolai auf eine Weltreise. In Begleitung des Thronfolgers befanden sich sein jüngerer Bruder Georgi und der Cousin Georg von Griechenland. Sie bestiegen die Panzerfregatte Pamjat Asowa und fuhren durch den Suez-Kanal nach Indien, Ceylon, Bangkok, Singapur, Java nach Japan.
Der Zarewitsch und seine Begleitung wurden mit höchsten Ehren begrüßt und auf ihrer Reise zu den größten Kulturstätten von einer Polizeieskorte begleitet. Am 11. Mai 1891 befand die Gesellschaft auf der Rückreise von der Kaiserstadt Kyoto, als sie durch Ötsu kamen. Sie ist Hauptstadt Japans im 7. Jahrhundert gewesen, mit vielen Palästen und Tempeln, schön gelegen an dem pittoresken Biwa-See. Hier kam es zu einem Zwischenfall, dessen Grund nie restlich geklärt werden konnte. Ohne einen erkennbaren Anlass stürzte sich der Polizist Tsuda Sanzo aus der Eskorte auf den Zarewitsch und schlug ihm mit seinem Säbel auf den Kopf.
In die Geschichte ist der Mordversuch an dem russischen Thronfolger eingegangen als „Zwischenfall von Ötsu“. Nikolai wurde wie durch ein Wunder nur leicht verletzt, die Reise durch Japan wurde aber abgebrochen. Am 23. Mai landete die kaiserliche Reisegruppe in Waldiwostok, wo der Zarewitsch gerade noch zurecht kam zur Grundsteinlegung der Transsibirischen Eisenbahn durch seinen Vater. Die Rückreise nach St. Petersburg quer durch Sibirien dauerte noch weitere drei Monate. Kaum in Zarskoje Selo angekommen, schrieb Alexander III. dem Tenno einen Brief, in dem er den Zwischenfall von Ötsu zwar bedauerte, sich aber trotzdem dafür bedankte. War der Zar verrückt geworden? Kam ja nicht selten vor unter den Romanows. Die russische Öffentlichkeit verlangte vehement Strafaktionen gegen Japan. Was war geschehen? Der Schlag des Polizisten Tsuda Sanzo auf Nikolais Kopf hatte diesen von seinen quälenden Kopfschmerzen befreit, unter denen der Zarewitsch seit seiner Kindheit gelitten hatte. Heute würde man die Krankheit wahrscheinlich Migräne nennen. Sie trat bis zu seinem tragischen Ende nie wieder auf.

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