Meditationen
über Karl Lubomirskis Gedichtband, Wien, Löcker 2015, 155
S.
Von
Veronika Seyr
Zuerst
ist da eine Zweierbeziehung, eine zwischen Karl Lubomirski und der
Welt, ihren Dingen, Menschen, Orten, Zuständen.
Er
schaut, beobachtet und lauscht. Er betrachtet die Dinge, und sie
schauen auf ihn zurück. Er spricht die Dinge an, und sie sprechen
zurück. Er horcht in sie hinein. Daher verraten sie ihm etwas,
haben Botschaften, weil da jemand ist, der ihnen zuhört. Sehr genau,
mit feinstem Ohr, tiefster Spurensuche dreht er sie um sie und sich
herum, entläßt sie, fängt sie wieder ein, läßt sie ins
Gegenteil kippen und macht sie so zu Instrumenten, um aus Dingen
Leben zu machen. Er klopft die Worte ab, er klopft an die Worte wie
an Geheimtüren und dringt in sie vor wie ein in sein Metier
verliebter Höhlenforscher. Ein Leben wie ein Kaleidoskop auf
einem Karussell, nach dem Regen unter dem Regenbogen im
Sonnenuntergang, aus den Gruften in die Morgensonne. Alle Worte sind
frisch und tragen doch Moosbärte. Die Sinnesorgane noch völlig
verklebt vom eigenen Untergang, jubilieren wir wie die Schwalben über
dem Dom von Krakau, den Gräbern der Via Appia und den sardinischen
Eichenwäldern. Der Reichtum der Erde und ihrer Freuden kennt keine
Grenzen. Hallo Leute, wacht auf, läutet er aus eingewanderten
Kirchtürmen in Sardienen, oder er spendet Trost mit dem Haiku:
HERBST/dich liebe ich/Frühling des Winters.
Jahreszeiten
atmen, Bäume reichen dir die Hände, Steine sind nicht tot, sie
verflüssigen sich unter den lebendigen Flechten, Türme sind
eingefallen wie Wanderfalken und fliegen wieder weg, im Feuer zwei
Körper, sie verbrennen nicht.
Lubomirski
macht eine große, einfache Liebesumarmung um die Welt, die mich,
alle und alles einschließt. Ich fühle mich genannt und einbezogen
in den Kosmos seiner Poesie.
Wirklicheres
ist mir kaum zugestoßen.
Die
Dinge sprechen, weil ihr Betrachter sie liebt, bedingungslos, sie so
sein läßt, wie sie sind, weil es für Liebe ja nie Bedingungen
geben kann. Indem er sie in Liebe betrachtet und ihnen das Innerste
ablauscht, kommen sie als Worte auf die Welt, werden sie zu Welt und
Wirklichkeit. Jedes Gedicht eine Geburt.
Ein
betörender Gedanke, dass Lubomirskis Schreiben eine Form des Liebens
ist. Wenn Liebe auf Worte trifft, ist das Poesie. Liebende haben
immer eine besondere Hörfähigkeit.
Er
schreibt in der Gewissheit, dass die Zugänglichkeit der Dinge die
Zulänglichkeit der Worte sichert. Aufschreiben heisst immer
Mitteilen, Lesbarmachen, Bedeutung geben. Bei Lubomirski noch
intensiver: Beseelen, die anima einhauchen.
Ich
erinnere mich dabei an zwei spätmittelalterliche Darstellungen von
Marias Empfängnis: die eine, in der eine Taube an ihr Ohr
heranfliegt und sie auf diese Weise mit dem zukünftigen Erlöser
befruchtet; in einer anderen, späteren, die ich besonders liebe,
flattert die Taube vor Marias Mund, nicht ohne dass der Maler
gestrichelte Linien zwischen dem knienden Engel, der Taube und Marias
Mund zu zieht - ein überdeutliches Comic, fast eine Sprechblase,
aha, da kommt alles her! Empfangen durch Ohr oder Mund? Dazwischen
liegt, meine ich, der feine Bruch zwischen Alt- und Neuzeit. Das
Ohr, das immer offene, empfangsbereite, aber passive Organ, der
Mund, der aktive, der sich schließen oder öffnen läßt. Das Ohr
hört, der Mund kann etwas sagen.
Und
dann ein Gedicht.
Dazu
kommt jetzt die Dreierbeziehung. Was machen diese Gedichte mit mir,
mit ihren in Zeichen, in Buchstaben gedruckten Worten? Die in
ihren vom Dichter genau gesetzten Formen weitere Bedeutungsebenen
erschließen, je nachdem, wie man sie liest, vorallem, wenn man sie
immer und immer wieder liest. Sie vervielfachen sich, aber nicht in
Wiederholungen, auch nicht in Serien oder in Variationen wie in
einer Fuge, sondern am ehesten wie vielstufige Kaskaden eines
Wasserfalles, über dem Regenbögen aufsteigen und in vielfältige
Farben zerspringen.
Ich
kann nichts interpretieren, sondern nur feststellen, dass die
Bilder, die sich auftun, etwas anstellen, etwas bewirken, etwas tief
in einem ergreifen und zum Klingen bringen. Lubomirskis Gedichte
haben einen Hallraum, der den eigenen, vielleicht verschütteten,
aufschließen wie einen vergessenen Goldaderstollen, eine
Diamantenmine. Diese Gedichte tun einem gut, wie eine über den
Kopf streichelnde Hand oder eine zärtlich ins Ohr geflüsterte
Tröstung. Liebevolle Erschütterungen.
Man
kann sagen: Wir kennen uns nicht persönlich, aber auf der Via Appia
oder in Sardinien war ich auch schon. An vielen anderen Orten seiner
Gedichte auch, aber an den meisten noch nie. Ob in den kaiserlichen
Gärten von Kyoto oder in den Steppen Tibets, er macht einen zu
Hause dort. Irgendein Gegenüber muss ihm vor Augen
gestanden sein, ein Du, oft aber Selbstansprache, und im Wir und Ihr
sollen, kann jeder gemeint sein, der die Einladung annimmt.
Verdammt hinter all den längst schon besiedelten und beseelten
ästhetischen Kulturorten, die schon lange vor uns bessiedelt waren.
Diese Tiefe der Zeit, das Vorleben der Dinge, die Prähistorie der
Beziehungen bis hin zum betroffenen Leser des heutigen Tages –
das zieht einen in eine Karl Lubomirski eigene Ewigigkeit und Raum
der Unendlichkeit. Was ist ein Magier? Ein Überwinder von Raum und
Zeit, an dessen Tätigkeit ich teilnehmen darf.
Wenn
man zu den Formen kommt, zu den angeblich klassischen und deren
Definitionen,
stehe
ich bei Lubomirski vollkommen an. Aber ich bin ja keine
philologische Leserin, sondern habe mit jeder Lektüre ein
Privatissmum mit Poesie. Soviel verstehe ich: Er beugt sich keiner
einzigen Form oder besser, er beugt sie alle, sogar das
minimalistische Haiku bricht er noch einmal herunter.
Soviel
zu Gestalt und Inhalt. Es lohnt sich, einen Blick auf die gängigste
Denkfigur zu werfen, für die L. eine besondere Vorliebe hat.
(Gewagt, denn ich weiss nicht, ob man das „Technik“ nennen darf
und ob er sie bewußt anwendet). Sie besteht in der Technik, dem
Leser in einer einer scheinbar hoffnungslosen Situation doch noch
dadurch eine positive Aussicht zu eröffnen, dass ihm durch einen
plötzlichen Gedankensprung oder eine abrupte Volte die Möglichkeit
geboten wird, die Situation aus einer anderen Perspektive zu
überschauen oder sogar zu seinen Gunsten zu wenden.
GEDICHTE/
Die Eisblumen/der Erwartung. DER HIMMEL/wird dich töten/. Der
Himmel,/ aber er stellt keine Fallen.
L.
denkt aber auch in die umgekehrte Richtung. SCHULAUSFLUG/Beneide
sie nicht,/ diese Jungen und Mädchen,/die die Gruben nicht
kennen/und nicht die Löwen,/und nicht/die
Schrift/an der Wand.
Für
ihn gilt Novalis` ästhetischer Merksatz: Beim Kunstwerk soll das
Chaos durch den Flor der Ordnung durchschimmern.
In
dem Buchtitel gebenden Gedicht „Sieben Meere“ heisst es: Keine
Zeit mehr/für Weiß, Schwarz, Sichel/Hammer/Grün und Rot, Streifen,
Sterne/Kreuze, Moscheen, Tempel/keine Zeit mehr/…/Hinter der
Zukunft/Sieben Meere der Hoffnung.
Wie
düster auch immer die Welt aussehen mag, an ihrem Ende und am Ende
des Verstandes steht immer eine Hoffnung, wenn man offen und bereit
genug ist, diese wahrzunehmen. Dazu ruft er auf. Das ist die
Botschaft, sollte es eine geben. Das ist die Verführungskunst des
Dichters. So lasse ich mich gerne verführen.
Lubomirski
ist ein Nomade zwischen Himmel und Erde, ein Nomade zwischen Zeiten,
Menschen und Ländern. Sein lebenslanges Reisen findet seinen
Niederschlag in Gedichten über seine Wahlheimat Italien, im
Näheren Milano, aber sie führen einen in einem ganzen Zyklus nach
Sardinien, nach Norwegen, China, Tibet, Japan, Krakau, Cernowitz, auf
die Malediven und immer wieder nach Griechenland. Es tönt
die Luft/vom Blühen der Linden;/aber/in der Tiefe des Baumes/schläft
ein Boot/über den Styx.
Obwohl
oder gerade weil L. fast sein ganzes Leben mit und in der Sprache
verbracht hat – es ist sein 14. Gedichtsband – weiß er um ihre
Grenzen und die Gefahren des Sprachgebrauchs. L. glaubt nicht an
große Welterklärungen, sondern steht immer voller Staunen vor
Rätseln, die oft eine schöne Gestalt haben, aber nicht zu lösen
sind. DEZEMBERTAG/Ich weiß nicht,/was mir die
Sonne/erzählen wollte./ Aber ich ahne,/ dass es etwas sehr/Schönes
war.
Oft
nimmt L. einen scheinbar kleinen Gegenstand ins Auge – eine Blume,
einen Baum, Stein, Vogelflug, Ort, Traum und läßt daraus einen
ganzen Kosmos entstehen.
ALB/Mir träumte/ich war eine Maus/Und du/eine lautlos Eule,/und
als ich erwachte,/ staken im Herzen/geschliffene Krallen.
GEDICHTE/Die
Eisblumen/ der Erwartung.
KEIN
VULKAN/speit/ fremde Lava.
EWIG
LEBEN?/Wem?
Man
erlebt die die Wucht der Schlichtheit, das kleinstmögliche Chaos
gebändigt in Form eines blitzenden Apercus.
Welche
Welten und philosophische Gedankenräume können aus nur fünf, drei
Worten sich auftun, wenn sie so aufgestellt sind, wie Karl Lubomirski
es tut.
Ich stehe in Staunen und Dankbarkeit
vor Wundern und muss immer wieder innehalten: Er kennt mich. Er meint
mich. Er hat mich durchschaut, erkannt und will mir nichts Böses.
Von wem läßt sich si etwas schon sagen. Er hat mich in unserer
gemeinsamen, wie lange vergessenen Ursprache angesprochen. Von der
Lyra eines Orpheus im Lorberhain angeschlagen, die Klangschale im
Wind.
Lubomirski
lesen heißt, eine Reise machen durch die Herzen der Menschen. Von
diesem liebenden Dichter lasse ich mir freiwillig und freudig ins
Herz greifen.
Veronika
Seyr
Pfingsten
2016
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