Der verdammte Bürgermeister oder vom Unglück in den Städten
Kulturnotizen aus Belgrad
Was ich jetzt vorhabe, gleicht am ehesten der Überquerung eines Minenfeldes: dass die Explosiva eingegraben sind und hochgehen können, das weiß ich, nicht aber, wo, welche, und wie sie hochgehen. Nach längerem Abwägen habe ich entschieden, dass ich da durch muss, es weder einen Weg aussenrum gibt, noch ein Stehenbleiben oder ein Umkehren.
Bei meinem jüngsten Besuch in Belgrad erzählte ich in einer Runde von Freunden – allesamt Anti-Nationalisten, Kriegs- und Milosevicgegner der ersten Stunde, von denen aber keiner emigriert ist - von der Ausstellung über ihren alten Landsmann, den Architekten und Schriftsteller Bogdan Bogdanovic mit Wohnsitz in Wien seit 1993. Es ist sicher keine Belgrader Spezialität, dass die Daheimgebliebenen die (erfolgreichen) Emigranten mit skeptischer Aufmerksamkeit beäugen oder sie gerne rupfen wie eine eifersüchtige Rabenschar. Wir kamen auf den Medien-Hype um Bogdan Bogdanovic, als Architekt, Essayist, Schriftsteller, Urbanologe, Poet, Mythologe, getaufter Surrealist und Humanist hoch gelobt, die Veranstaltungsreihen, die Buchpräsentationen, die TV- und Radiosendungen, die Vorträge und die Artikelflut. Er wird in den Medien weit über Österreich hinaus in den höchsten Tönen gelobt und mit so gleich lautenden Epitheta wie: ideologie- und pathosfrei, anti-sozrealistisch, originell oder unkonventionell bedacht, als hätte ein Klappen-, Reden- und Katalogtexter vom anderen abgeschrieben einschließlich aller Fehler oder ein einziger sie alle verfasst.
Beim Gespräch über B.B. kommen noch zwei Facetten hinzu: ihm wird von den Belgradern erstens der Emigrantentitel abgesprochen, und zweitens die neue Liebe der Österreicher für die Serben in Zweifel gezogen. Meinen Freunden - zum Großteil dem liberalen Zirkel des „Belgrader Kreises“ nahe stehend oder alte, echte, immer schon, auch zu Titozeiten selbstverständliche Europäer- schwellen die Zornesadern an, haben sie den B.B. nicht so sehr als Denkmalbaumeister- und Architekturprofessor oder gar als Widerstandskämpfer gegen den Milosevic-Nationalismus in Erinnerung, sondern als kommunistischen Bürgermeister von Belgrad der Jahre1982 – 1987, der sich mit mutwilligen Stromabschaltungen ins Gedächtnis der Bürger eingeätzt hat. Auf eine Diskussion über die künstlerischen Qualitäten seiner 20 antifaschistischen Denkmäler, Partisanengedenkstätten und Kriegsfriedhöfe im ehemaligen Jugoslawien will sich hier niemand einlassen; die Frage, ob sie wirklich anti-sozrealistisch, überideologisch, unpathetisch, phantasievoll, unkonventionell, fortschrittlich, surrealistisch uswusf. seien, belächeln meine höflichen Freunde milde, Mumpitz, Schnee aus vergangenen Jahren, darum geht es doch gar nicht, sondern um Politik und Moral. Sie sind streng und geradlinig, meine Belgrader Freunde, schütteln, je nach Temperament, zornig oder lächelnd die Köpfe über die naiven Westler wie auch schon beim Fall Handke.
Milan, ein Journalist, erinnert sich an des Bürgermeisters Fernsehansprache mitten in einem besonders kalten Winter, als er, in einen lächerlichen Schal gehüllt, den Mitbürgern den Stromsparrat gab, den Kühlschrank abzustellen und die Lebensmittel auf dem Balkon oder auf dem Fenstersims aufzubewahren. Ebenso verbot er das tägliche Bad, einmal in der Woche oder noch seltener sollte genügen, damit Warmwasser gespart werden könne. Er verlangte, dass die Nachbarn, die sich nicht daran hielten, bei der Miliz zu denunzieren seien, ebenso die, bei denen keine Plastiktüten auf Balkonen und Fenstern zu sehen seien, bedeutete dies doch, dass diese Übeltäter den Kühlschrank nicht ausgeschaltet hätten. Die Leute seien damals durch stockfinstere Straßen und Stiegenhäuser gestolpert und in kalten Wohnungen gesessen. Und nie hat er sich danach bei den Mitbürgern entschuldigt, der Herr Emigrant, erzürnt sich Milan immer noch. „Soll er doch einmal versuchen, bei Kerzenlicht eine kalte Dusche zu nehmen, wenn es draußen minus 20 hat“.
Djordje, der 80jährige Filmemacher, erinnert daran, dass jemand, der so viele Staatsaufträge bekam und praktisch ein antifaschistisches Denk/mal/bau/monopol hatte, nur ein absolut treuer Vollstrecker der Parteipolitik gewesen sein kann. Als Bürgermeister war B.B. automatisch auch Mitglied des städtischen und Republikskomitees der kommunistischen Partei (Bund der Kommunisten Jugoslawiens), ereifert er sich, er hat die Politik von Milosevic lange mitgetragen, und dieser hat vom älteren Parteigenossen gelernt, wie man in stalinistischer Tradition die Bevölkerung quält, vor allem die des bürgerlichen Belgrad.
Die Dramaturgin Vesna ärgert sich über die ignoranten Westler, die aus jedem Milosevic-Gegner gleich einen Demokraten machen: das sei vollkommener Unsinn, es gab doch auch noch andere Gründe, zum Beispiel die Konkurrenz oder aus anderen nicht-demokratischen Motiven gegen Milosevic zu sein, wie etwa die Altstalinisten den Kurswechsel zum Nationalismus nicht mitmachen wollten. Milosevic kam 1985 durch einen internen Putsch als Belgrader Stadtparteichef an die Macht, erst 13 Jahre später übersiedelte Bogdanovic nach Wien, was heißt denn hier Widerstand? Ja, es gab Schmierereien an den Mauern seines Wohnhauses, vielleicht hat er auch unangenehme Anrufe bekommen, räumt Vesna ein, aber die galten dem verhassten Bürgermeister und nicht seiner angeblichen Milosevic-Gegnerschaft. Er habe seine Wohnung immer behalten, ihm und seiner Bibliothek sei kein Härchen gekrümmt worden. Aber natürlich lebt es sich feiner in Wien, wo man nicht mit Stromabschaltungen rechnen muss, giftet Vesna, die damals ihre alte, kranke Mutter kaum durch die Kälte brachte. „Ich kann diesen Unsinn einfach nicht mehr hören, dass ihn die Nationalisten vertrieben haben und er nach Wien flüchten musste.“ Dieses unbedingte Festhalten am Nicht-Wissen-Wollen treibt Vesna auf die Zimmerpalme. Als würde man noch immer behaupten, die Erde sei eine Scheibe, und dass die Scheinemigranten nicht die Kugel propagieren werden, ist wohl sonnenklar.
Aber eines freut Vesna: dass man seit kurzem die Gespräche über den Alt-Bürgermeister aus den Niederungen von Gerüchten und persönlichen Erinnerungen herausführen kann ans Licht der historischen Dokumentation. Die Belgrader Kulturhistorikerin Irina Subotic hat kürzlich einen umfangreichen Dokumenten-Band über die jugoslawische Avantgardistenbewegung „Zenit“ aus der Zwischenkriegszeit herausgebracht. Die Zenitler bezeichneten sich als „Kinder von Kandinski, Malevic, Schiele, Ilja Erenburg, El Lisizki, Max Ernst und Gropius“, die die Moderne in den jungen Staat brachten. Ihr gehörten die bedeutendsten jugoslawischen Künstler wie Milos Crnjanski, Vinaver, Dedinac, Petrov, und Poljanski an - die Liste lässt sich lange fortsetzen. Als Irina Subotic 1983 im Belgrader Volksmuseum eine Ausstellung über die Zenit-Künstler einrichtete, startete der damalige Bürgermeister eine Hetzkampagne in allerschlimmster stalinistischer Manier, besonders bösartig und lächerlich die Verspätung, meint Vesna, 30 Jahre nach Stalins Tod! Darum mag man hier nicht über den angeblichen „Surrealisten“, „Modernisierer“, „Versöhner“ und „Friedensaktivisten“ B.B. debattieren, als der er sich jetzt feiern lässt. Und ob er aus Überzeugung gehandelt habe oder im Auftrag der kommunistischen Partei, interessiert diese auch Runde nicht, er hat schändlich gehandelt und damit basta! Ein Buch wie das von Irina Subotic, das sei die wahre„Architektur der Erinnerung“, meinen meine Freunde, und dass Autorin und Herausgeber Ljubomir Micic zur Präsentation nach Zagreb eingeladen wurden. Ein Gast fehlte allerdings in Zagreb, spottet die Runde, die Hauptperson ist im schönen Wien geblieben.
Sonja, eine ehemalige, von Milosevic relegierte Universitätsprofessorin und Studienkollegin des Architekturstudenten B.B., bringt den „originellen Kulturkämpfer“ der frühen Tage ein: Jeans waren bei der Jugend de frühen 50er Jahren äußerst beliebt und ein rares Westgut, der Nomenklatura dagegen waren sie als Symbol des amerikanischen Imperialismus und der westlichen Dekadenz ein Dorn im Auge. Als ganz besonders unproletarisch galten die damals modischen superengen Röhrenhosen. Sonja schildert, wie der Parteiaktivist B.B. zusammen mit als Studenten getarnten Geheimdienstlern Jagd auf die Jeansträger machte, diese verprügelt und ihnen die unmoralischen Hosenbeine aufgeschlitzt wurden. Es sei bekannt gewesen, dass an seiner Fakultät besonders viele Studenten denunziert und relegiert worden seien. Lächerlich? Nein, das war damals höchste Parteikulturpolitik. „Wie viele Leben und Karrieren hat dieser furchtbare Stalinist vernichtet“, die feine, alte Dame verliert fast ihre Kontenance, „aber es gab damals so viele davon.“ Ist das ein Trost? „Nein, aber sie sollten sich doch irgendwann entschuldigen, solange sie noch können und nicht neue Lügen verbreiten.“ Was sie damit meint? Diese Bücher, die er in Wien schreibt, schöne Titel erfindet er dafür: „Die Stadt und der Tod“, „Der verdammte Baumeister“ und „Vom Glück in den Städten“. Die Freundesrunde bricht in sarkastisches Gelächter aus, der weiß, wovon er spricht; sie haben die Bücher schon längst umbenannt: Der verdammte Bürgermeister. Vom Unglück in den Städten. Der Kommunist und der Tod.
Warum scheint denn Wien ein so fruchtbarer Boden für Geschichtsfälschungen, Ausblendungen und Halbwahrheiten zu sein, will ich von diesem erlauchten Kreis wissen. Was meinen sie zu diesem Abjubeln und schallenden Schweigen? Da gehen die Meinungen auseinander. Die einen halten das schlechte Gewissen an der Mitschuld für den Zerfall/die Zerschlagung Jugoslawiens für den Grund, also eine Art von Wiedergutmachung, andere die effektive Arbeit der in Wien tätigen serbischen Geheimdienste, also die beliebten Balkanverschwörungsmythen. Ob denn die Schwierigkeiten im Umgang mit der Vergangenheit eine Gemeinsamkeit sein könnte? Da wiegen sie die Köpfe, darüber müssten sie erst noch nachdenken.
In der Belgrader Presse lese ich in den Tagen meines Besuches das Interview eines alten Partei-Funktionärs der Markovic-Ära. Miloje Popovic war ein prominenter Journalist, Mitarbeiter von Ministerpräsident Stambolic und in der Jugend mit den Brüdern Milosevic befreundet. „Nach Titos Tod gab es zwar keinen Krieg, aber in Serbien herrschte ein schrecklicher allgemeiner Mangel an wichtigen Artikeln des täglichen Lebens. Wir hatten keinen Strom, und sicher erinnern sich viele an jene grausamen Stromabschaltungen. Es gab allgemeines Entsetzen, als bekannt wurde, dass sogar dem Generalstab der Strom abgedreht wurde. Der Belgrader Bürgermeister wandte sich an die Öffentlichkeit mit den Worten; wenn ihr irgendwo Licht brennen seht, zeigt eure Nachbarn an. Einige Politiker haben sogar dazu aufgerufen, die beleuchteten Fenster mit Ziegelsteinen einzuwerfen.“
Noch interessanter ist, dass auch von der Jugend an Bogdanovics Bürgermeisterjahre erinnert wird. Anlässlich des 6. Jahrestages des Mordes am ersten nicht-kommunistischen Bürgermeister Zoran Djindjic (später Ministerpräsident) schreibt ein junger Dragan in einem Blog des unabhängigen Radio B92: „Was hat denn Bogdanovic Nützliches für Belgrad getan? Er gab unseren Eltern den zynischen Ratschlag, wenn sie denn unter der Kälte so sehr litten, sollen sie doch einen Pullover mehr anziehen. Und die Nachbarn anzuzeigen, könne auch das Herz erwärmen“.
Ein anderer Blogger, Mladen 21, schildert eine Episode, die ihm sein Vater erzählte: Dieser sei während der Stromabschaltungen einmal durch die stockdunkle Knez Mihajlova (Belgrads Fussgängerzone) getaumelt, als er Ohrenzeuge eines intimen Gespräches einer Kollegin, die er verehrte, mit ihrem unsichtbaren Liebhaber wurde. Nur an der Stimme habe er sie erkannt und zur Kenntnis nehmen müssen, dass er bei ihr keine Chance habe. „Ich wünsche Bogdan Bogdanovic alles Mögliche, aber nicht die Qualen, die mein Vater erleiden musste“, schließt Mladen, 21.
Und warum sich freiwillig ins Minenfeld begeben? Ich persönlich habe doch nicht unter B.B.s Stromabschaltungen gelitten, nur ein Jahrzehnt später unter denen des Slobodan Milosevic, während der ich auch Zeugin wurde, dass man S.M. immer zähneknirschend mit B.B. verglich; und ich habe erlebt, mit welcher Freude, Begeisterung und Erleichterung Zoran Djindjic nach den heiß umkämpften Kommunalwahlen im Jänner 1997 als erster nicht kommunistischer Bürgermeister gefeiert wurde. „Belgrad hat sein Herz zurückbekommen“, hieß es damals, denn das weltoffene, multinationale, liberale Belgrad behauptete von sich, nie mehrheitlich kommunistisch gewählt zu haben.
Minenfeld? Sicher! Aber vielleicht bin ich es meinen Belgrader Freunden schuldig.
Donnerstag, 4. Februar 2010
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen