GOOD NEWS sind manchmal (viel zu selten) einfach nur GOOD NEWS
Die Integrations-Geschichte eines Neu-Österreichers, ganz am Anfang
Neulich auf einer Vernissage in der Wollzeile lernte ich einen jungen Mann kennen, Fazil*)
Name geändert, ist ein 28jähriger syrischer Kurde, der gerade politisches Asyl in Österreich erhalten hat. Bei einem Glas nach der Eröffnung kam ich mit ihm ins Gespräch. Sein Deutsch ist noch nicht wirklich gut, aber für eine Unterhaltung mit Erstinformationen reicht es schon. Seit einem Jahr hat er einen österreichischen Pass, den grauen, den Flüchtlingspass, in dem zwischen vielen österreichischen Stempeln und Siegeln gedruckt steht: „Für alle Staaten der Welt außer Syrien“. Ich blättere, drehe und wende das Dokument, ungläubig staunend, die Fälscher sitzen im Kopf - nicht 5, 7 oder 12 Jahre hat er gewartet - sondern nur 2 Monate, und das Asylverfahren war positiv abgeschlossen! Ich denke an seine Eltern, seine Geschwister, stelle mir seine sorgenvolle Mutter vor. Und jetzt, einmal im Monat ein Anruf ihres Sohnes, eines Verbrechers, eines Staatsfeindes, eines Flüchtlings in einem Land, dessen Namen sie vielleicht nicht einmal kannte. Sie liebte schon immer Strauss-Walzer, erzählte mir Fazil, wusste aber nicht, woher diese kamen. Ob sie ihren Sohn jemals wieder sehen und in ihre Arme schließen kann?
Als anerkannter Flüchtling erhält gesetzesgemäß Sozialhilfe und ist Besitzer eines Kulturpasses, damit besucht er fünfmal in der Woche einen dreistündigen Deutschkurs an der Uni, daneben jobbt er geringfügig in einer Pizzaria. Fazil stammt aus dem Nordosten Syriens, in dem die Kurden konzentriert leben. Er studierte in Damaskus Malerei und Literatur, hat einen Lyrik-Band in arabischer Sprache veröffentlicht, in Galerien ausgestellt und sogar schon Bilder verkauft. Neben der arabischen Staatssprache und seinem privaten Kurdisch kann er noch Farsi und Türkisch. Eine europäische Sprache hat er nicht gelernt.
Und was machte ihn auf einmal zum Staatsfeind, der flüchten musste? Und was brachte ihn zu uns nach Österreich? Zusammen mit mehreren Künstlerfreunden veranstaltete Fazil in Damaskus eine Ausstellung, in der sie Bilder mit Elementen aus der kurdischen Kultur zeigten: Männer in kurdischer Tracht, den typischen Kopfbedeckungen, Kaffeekännchen und Pfeifen, dazu lasen die jungen Künstler aus ihren Gedichten in arabischer Sprache, aber es war offenbar doch zu deutlich kurdische Poesie – und die ist verboten in Syrien. Es dauerte nicht lange, bis die syrische Polizei die Galerie stürmte und Fazil und seine Freunde ins Gefängnis warf. Denn in Syrien sind die Kurden als Volksgruppe nicht anerkannt, fast alles Kurdische ist per Gesetz als staatsfeindlich verboten, die Sprache darf nur privat gesprochen werden und wird in Schulen nicht unterrichtet. Dabei machen die Kurden mit 10% der Bevölkerung rund 2 Millionen aus, von denen noch einmal mehr als 10% ihre Staatsbürgerschaft verloren haben und so zu Ausländern, zu Unpersonen im eigenen Land wurden. Vertreibungen, Umsiedlungen, keine kurdischen Namen, keine Geschäfte, keine Schulen, keine Kultureinrichtungen. Die humanitäre Lage in Syrien ist so schlimm, dass Kurden sogar in die nicht gerade kurdenfreundliche Türkei flüchten. Das alles sind Fakten und Daten, erhoben von UNO, Human Rights Watch, Amnesty International und der Gesellschaft für bedrohte Völker.
Nach vier Hunger-, Krankheits- und Foltermonaten gelingt Fazil die Flucht aus dem Gefängnis, Nach einer osteuropäischen Odyssee findet er Zuflucht in Österreich, wo ihm schon nach nur 2 Monaten der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird. Etwa 700 Kurden aus Syrien leben derzeit als anerkannte Flüchtlinge in Österreich, so klar und schrecklich ist die Menschenrechtslage in Syrien.
Als ich Fazil im Oktober kennen lerne, schläft er schon 2 Monate auf Bänken rund um die Westbahnhof-Baustelle, ein, zwei Stunden, bis die Polizei kommt und ihn und andere Schicksalsgenossen aufscheucht. Dann lange Spaziergänge, Wien bei Nacht für einen Neuankömmling. Fazil ist ein außergewöhnlich gut aussehender junger Mann mit großen Mandelaugen und wallenden Locken, er hat ein fröhliches, offenes Wesen und spricht zu schnell ein nicht immer sofort verständliches Deutsch, ist aber inständig um Kommunikation bemüht, fragt einen Löcher in den Bauch über Österreich und ist an allem und jedem interessiert. Ganz besonders gefällt ihm die städtische Architektur in Wien, oft unterbricht er den gemeinsamen Spaziergang über den Ring, um Skizzen zu machen. Dabei ist sein viel zu magerer Körper nur von dünnen Gewandfähnchen bedeckt, den steifen Novemberwind mit Regenschauern ignoriert er. Sein ganzes Eigentum steckt in einer Umhängetasche, angefüllt mit Skizzenblöcken, Schreibutensilien und Wörterbüchern. Immer und überall fliegt sein Bleistift übers Papier, in der U-Bahn, im Kaffeehaus, beim Reden, beim Rauchen und beim Essen, Porträts von Zufallsgegenübern: Frauen, Männer, Tiere, Häuser, er ist kein gläubiger Moslem, für ihn gilt kein Bilderverbot. Zwischen Pizzeria und Deutsch-Kursen klappert er Museen, Galerien, Ausstellungen und Dichterlesungen ab, sogar eine kleine Schau mit seinen Bildern ist ihm schon gelungen- mit zwei verkauften Bildern. Studieren möchte er und malen, zeichnen, schreiben und ausstellen, derzeit arbeitet er an einem Roman, die Liebe ist sein Thema, und die Gedichte fließen aus ihm heraus wie schon immer seit seiner frühesten Jugend.
Aber vor all dem ist klar, dass Fazil eine Wohnung braucht. Seine neuen österreichischen Freunde begleiten ihn zu einem Makler und aufs Sozialamt. Er hat ein günstiges Angebot in einem zentrumsnahen Bezirk bekommen. Bei einem schnell fixierten Termin mit seiner Sozialarbeiterin geschieht - nach seiner geglückten Flucht und der Asylzuerkennung das dritte Wunder – oder ist es doch die Normalität bei uns? Ich kann nicht entscheiden, ob Fazil bei seiner Geburt von den Göttern geküsst wurde oder ob diese Beamtin einen Narren an ihm gefressen hat – sicher im Rahmen der geltenden Gesetze- oder ob er einfach nur Glück hatte.
Die Begleitung, die Übersetzung, mit einem Wort: die Patenschaft hat ihm geholfen, steht für mich fest und die Vermutung, dass Fazil nicht nur eine Begabung für Auge und Ohr hat, sondern auch eine fürs Glücklichsein. Hinter geschlossenen Türen kämpft die Beamtin bei ihren Vorgesetzten um die Wohnung für Fazil, mit Erfolg: Das Sozialamt übernimmt die erste Monatsmiete, die Kaution und die Vermittlungsgebühr, alles zusammen legt sie ihm vor unseren Augen die beträchtliche Summe auf den Tisch. Keine milde Gabe, sondern so sind die Bestimmungen bei uns. Die Rechtslage versteht er trotz der freundlich-bemühten Erklärungen der Beraterin nicht ganz, scheint mir, sie ist zu weit entfernt von seiner sozialen Wirklichkeit; wiederholt versichert er, dass er alles zurückzahlen werde, sobald er mehr Geld verdiene. Beim Arbeitsamt sei er schon gewesen und habe Aussicht auf eine Stelle als Koch. Kochen könne er gut, das habe zu Hause gelernt. „Jajaja, ist schon ok. Alles Gute für die Zukunft! Kommen Sie wieder.“ Die Beamtin- ein zartes Persönchen mit liebenswürdiger Ausstrahlung-steht auf, kommt hinter ihrem Schreibtisch hervor und reicht ihm mit einer leichten Verbeugung die Hand. Ich habe den Eindruck, dass auch sie sich freut und stolz ist auf ihren Erfolg. Hat sie vielleicht verstanden, dass sie eher für Ute Bock arbeiten sollte oder Picasso vergessen und Fazil denken soll?
Als wir das Büro verlassen, kann Fazil vor Glück nicht mehr an sich halten. Gleich vor der Tür beginnt er sich um sich zu drehen, zu tanzen und zu kreiseln auf engstem Platz, Tasche, Schal und Kappe wirft er nach einander in die Luft, die Beine wehen um ihn und die Locken um den Kopf. Die Wartenden im engen Sozialamtsgang taxieren uns schweigend mit befremdeten oder fragenden Blicken. Hat da einmal jemand Glück gehabt? Oder nur nach dem Buchstaben des Gesetzes sein Recht bekommen? Mit immer schnelleren und komplizierteren Schritten wirbelt Fazil um sich selbst, sein dürrer Körper verwandelt sich in eine oszillierendeSäule. Ein tanzender Derwisch ist bei uns angekommen. Dabei trällert er immer wieder von den höchsten bis in die tiefsten Töne: „Österreich ist guut! Österreich ist guut! Gutgutgut, Österreich!“ Sein erstes Gedicht auf Deutsch. Genügend deutsch für so viel Freude hat Fazil schon gelernt.
Donnerstag, 4. Februar 2010
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