Leserbrief zu Dragan Velikics neuestem Buch „Das russische Fenster“
Falter 42/08
Ein Roman und seine Figuren sind eine Sache, Zitate aus einem APA-Interview eine ganz andere. Wo mag sich denn der Schriftsteller Dragan Velikic aufgehalten haben, bis er 2005 als Botschafter SRJ nach Wien kam, vielleicht in einem Omnibus mit Tunnelblick?
„Sogar in den finstersten Jahren des Regimes von Slobodan Milosevic hat es auch ein anderes Serbien gegeben, das lange Zeit hindurch keinen Zutritt zu europäischen und anderen internationalen Medien hatte.“ Diese Aussage ist so eindimensional und unrichtig wie die Klagen der serbischen Nationalkommunisten, dass alle westlichen Medien immer nur anti-serbisch ausgerichtet gewesen seien. Kaum ein westlicher Journalist in Belgrad, der sich nicht auf Lichtgestalten wie die Menschenrechtsaktivisten Sonja Biserko, Natascha Kandic, Vesna Pesic oder Vladan Vasilijevic gestürzt hätte, bei Radio B-92 oder dem Nachrichtenmagazin „Vreme“ ein- und ausgegangen wäre, die „Frauen in Schwarz gegen den Krieg“ interviewt und die Anti-Kriegsaktionen der Studenten gefilmt hätte. Wahrscheinlich dürfen die westlichen Journalisten wegen der Steuer noch immer nicht sagen, welchen und wie vielen Malern zwischen Pristina und Sarajewo sie in den Sanktionsjahren Farben und Pinsel mitgebracht, sie aufgekauft und im Westen zu Ausstellungen und Kunden gebracht haben. Alle waren froh, wenn sie einmal nicht mit Lügen und Anschuldigungen der Regimevertreter überschüttet wurden, einen seriösen Diskurs führen konnten und an Informationen außerhalb der Regimepropaganda herankamen. Sogar Zoran Djindjic, der bis zum Dayton-Vertrag tapfer an Radowan Karadzics Seite stand, war ein begehrter Interview-Partner, an dem kein westliches, v.a. deutschsprachiges Medium vorbeikam, weil er so schönes Frankfurter Deutsch sprach, smart war und aussah wie ein Dressman. Noch hinter den schwächsten Statements der Panics, Draskovics, Dinkics, Svilanovics und Madzars hechelten wir dankbar hinterher. Selbstkritisch muss man heute sagen, dass wir „das andere Serbien“ sogar aufbliesen und weich zeichneten, damit wir die demokratische Opposition bei uns unterbrachten, auch wenn sie diesem Namen gar nicht immer entsprach. Wer soll denn schon darüber richten? Aber umgekehrt auch nicht, Herr Velikic.
Von den rund 6000 vom ORF-Belgrad zwischen 91 und 97 produzierten Beiträgen hatten etwa ein Viertel eben dieses vielfältige, demokratische „andere Serbien“, zum Thema, darunter Film- und Theaterkritiken vom BITEF, Ausstellungsberichte, Besuche beim „Belgrader Kreis“, dem „Helsinki-Komitee“, dem „Zentrum für kulturelle Dekontamination“ der Dramaturgin Borka Pavicevic , bei den Schriftstellern Aleksandar Tischma und Bora Cosic, dem Alt-Dissidenten Milovan Djilas, bei Nenad Canak, dem Führer der sozialdemokratischen Liga der Wojwodina, oder dem radikalen Filmemacher Zelimir Zilnik. Keine Diskussionsrunde im deutschsprachigen Raum zu Jugoslawien-Fragen, in dem nicht auch ein Vertreter des „anderen Serbien“ die Clubmöbel gedrückt hätte. Alle habe ich sie persönlich in die österreichische Botschaft begleitet, damit sie ein Visum bekommen und bei uns das andere Serbien darstellen können. Velikic war nicht dabei, denn der war ja schon in Wien und saß am Tisch von Milo Dor. Das ist ausnahmsweise keine Lüge der Westmedien, sondern eine Erzählung seiner Exzellenz, des Botschafters Dragan Velikic himself beim Begräbnis seines Mentors vor 2 Jahren.
Als im Herbst 1996 nach der Fälschung der Kommunalwahlen durch Milosevic die Bürger 3 Monate lang in Massen auf die Straßen gingen, gab es überhaupt kein anderes Thema mehr. Es waren ganze Wälder von Einhörnern, die nicht etwa in obskure Sendeplätze versenkt wurden, wie Velikic behauptet, sondern in den Hauptnachrichten- und Doku-Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen platziert waren.
Ob Sie es glauben oder nicht, wir Westler im Belgrad der 90er-Jahre, umgaben uns viel lieber- sei es im Arbeitsteam oder im Freundeskreis – mit Adepten von Krlescha, Andric, Selimovic, Crnjanski und Bulatovic als mit Gefolgsleuten der nationalistisch-gewendeten Herrschaften der Kapors, Pavics, Macvas oder Cosics. Sich von diesem nationalkommunistischen Abschaum „Die Wahrheit über Serbien“ erklären zu lassen, war ein späteres Privileg des Peter Handke. Vielleicht wird sich einmal jemand in das ORF-Archiv begeben, um die grindigen Stereotypen zu entlüften und nicht immer wieder die alten Ressentiments der diplomatischen Romane a la Velikic und Ivanij aufzukochen. Eine frische Dissertation vielleicht einmal zur Abwechslung? Geben Sie ein Stipendium aus, Herr Botschafter, oder zwei, wenn Ihnen an der „Wahrheit über Serbien“ gelegen ist!
Wo immer der Rudi Stupar-Erfinder damals gesessen sein mag, ganz entgangen kann ihm doch nicht sein, dass die Deutsche Welle und BBC dem immer wieder von der Schließung bedrohten Radio- und später TV- B92 ihre Frequenzen zur Verfügung stellten, und dass die Oppositionszeitungen „Nasa Borba“ und „Vreme“ Papier- und Druckmaschinen-Lieferungen aus dem Westen bekommen sollten, diese aber nicht wegen der Feindsender ihren Bestimmungsort verfehlten, sondern weil sie von Milosevics Banden an der ungarischen Grenze gekidnappt wurden. Häufig fragten europäische Medien ohne Vertretung in Belgrad im ORF-Büro um Beiträge an, wobei ihr Hauptinteresse nicht auf dem Raketenzählen oder einer Milosevic-PK lag, sondern den zärtesten Pflänzchen einer demokratischen Alternative in Serbien galt. Die West- Journalisten zu hauen – wie einfach ist das doch, und wie gut kennen wir das nicht von den Nationalkommunisten und ihren Knechten a la Peterchens Südfahrten! Dass es nicht die vorrangige Aufgabe der „europäischen und internationalen Medien“ war und ist, die Demokratie in Serbien zu entwickeln, - da bin ich ausnahmsweise mit Handke d`accord, dass die Serben das schon selber machen müssen und werden - versteht sich von selbst, aber dass sie den „zivilisierten Einhörnern“ Raum und Bild gaben, das sollte auch mit tiefstem Tunnelblick nicht geleugnet werden.
Veronika Seyr, 17. 10. 08
ORF-Korrespondentin in Belgrad 1991 - 97
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