Donnerstag, 8. Januar 2009

Völkerrecht versus Moral?

Wenn sich die Gegner eines unabhängigen Kosovo- allen voran Serbien und Russland- mit guten Gründen auf das Völkerrecht, die Unteilbarkeit des Staates und die Unverletzlichkeit der Grenzen berufen, können Befürworter des neuen Staates Kosovo die Moral als politische Kategorie ins Feld führen, nicht als Alternative, sondern als Abwägung. Serbien hat mit seiner jahrzehntelangen Unterdrückungs- und Apartheidpolitik das moralische Recht auf diesen Landesteil verloren.

Und das geht nicht erst auf die UNO-Resolution 1244 von Juni 1999 zurück, sondern auf den Verfassungsbruch, die Liquidation des Autonomiestatus der Provinz durch Milosevic 1989. Milosevic löste das Parlament auf, entließ die Parteiführung, setzte die gesamte albanische Intelligenz und alle Staatsbediensteten auf die Straße: Arbeiter in den verstaatlichten Betrieben, Professoren, Lehrer, medizinisches Personal und Polizisten. Mit einem Schlag waren rund 80% der albanischen Arbeitnehmer ihrer Lebensgrundlage beraubt.

Von da an waren die Albaner von allen serbischen Wahlen ausgeschlossen oder sie boykottierten sie - bis zu den letzten in diesem Dezember/Jänner/Februar. Das Milosevic-Regime verfolgte in den 90er-Jahren eine Politik der sogenannten „Drittel-Lösung“: ein Drittel vertreiben, ein Drittel liquidieren (als Terroristen), ein Drittel serbisieren, getreu dem Rezept des kroatischen Ustasha-Regimes zwischen 1941 und 1944 gegenüber den Serben. Von 1998 an setzte es diesen Plan in großem Maßstab in die Wirklichkeit um, bis das 3-monatige NATO-Bombardement die Serben im Juni 1999 zum militärischen Abzug zwang.

Das sind die wohlbekannten Tatsachen. Wenn man eine Schicht tiefer geht in das Verhältnis der Nationen zueinander, kann man in Serbien einen unverhüllten, tief verwurzelten Rassismus gegenüber den Albanern feststellen. Das Milosevic-Regime hat ihn zur Staatsideologie erhoben, und es gab keine Partei, die ihr nicht gefolgt wäre. Die Sozialisten von Milosevic haben - ebenso wenig wie die Radikalen von Vojislav Sheshelj, wie die Serbische Erneuerungsbewegung von Vuk Draskovic, die Demokratische Partei von Zoran Djindjic oder die Nationaldemokraten des jetzigen Premiers Kostunica - zu keiner Zeit ein Programm zur Lösung der Kosovo-Frage ausgearbeitet, zu keiner Zeit mit ihnen auf Augenhöhe verhandelt oder die wirtschaftliche Entwicklung gefördert; der Kosovo war ausschließlich Gegenstand der Unterdrückungspolitik und Mythenbildung. Wenn einige wenige Menschenrechtsorganisationen wie das Belgrader Helsinki-Komitee, die Soros-Foundation oder Einzelpersönlichkeiten sich für einen demokratischen Dialog mit den Albanern einsetzten, wurden sie öffentlich als Verräter und Volksfeinde gebrandmarkt.

Albaner als Menschen und Bürger wahrzunehmen, war weder bei den Eliten noch beim einfachen Volk im Bereich des Möglichen. Es beginnt schon mit der Sprache, der Bezeichnung für diese Volksgruppe: Kaum jemals konnte man von den „Albanci“ hören oder lesen, sonders es war und ist bis heute gang und gäbe, von den „shiptari“ zu sprechen. Auch wenn sich die Albaner selbst Skipetaren nennen, ist es das erniedrigendste Schimpfwort, von einem Nicht-Albaner als „shiptar“ bezeichnet zu werden, nicht unähnlich einem „Saujud“. Die Sprache als Kriegserklärung, und das nicht nur am Wirtshaustisch, sondern im Dauerbeschuss aus dem Parlament und den Medien. Den „shiptari“ schreibt man in Serbien grundsätzlich die schlechtesten Eigenschaften zu, politisch wie menschlich, wobei das Argument ihrer großen Fruchtbarkeit, mit der sie sich angeblich zur Mehrheit im Kosovo gemacht hätten, eines der gewichtigsten und rassistischsten ist. Wo waren die Albaner in der serbischen Öffentlichkeit? Wenn nicht offen als Untermenschen beschimpft, so waren sie zumindest ignoriert. Ihre Politiker, Intellektuellen, Künstler, Schriftsteller, Sänger, Fußballer, TV- und Filmstars und Schönheitsköniginnen? Sie kamen in der Gesellschaft einfach nicht vor. Nur die Gefängnisse waren überproportional voll mit Albanern, und im Bosnien-Krieg traf man sie in der vordersten Feuerlinie oder als „mine-sweeper“, so ein serbischer „Witz“. Im Tito-Jugoslawien waren sie noch als Goldschmiede, Eisverkäufer oder Hausdiener in Gesellschaftsnischen wahrnehmbar. Mit Milosevics Machtergreifung 1985 verschwanden sie als Menschen vollständig, nur um als Separatisten, Irredentisten, Terroristen, Nonnenschänder, Kindervergewaltiger, Brunnenvergifter und Kirchenbrandschatzer aufzutauchen. Das sind sie bis heute geblieben und jetzt zusätzlich auch noch „unmoralische Landräuber“ geworden, wie sie Premier Kostunica am Sonntag bezeichnete.

Es gab noch Ende der 70er bis in die 80-er Jahre, nach der letzten Tito-Verfassung, die den Albanern eine so weit reichende Autonomie garantierte, dass sie dem Republiks-Status gleichkam, eine Zeit, in der es nicht unmöglich gewesen wäre, die Albaner freiwillig näher an Belgrad zu binden. Die kommunistische Führung der Provinz war zwar reformfreundlich, aber nicht Serben-feindlich. Trotzdem wurde jede Bewegung der Albaner in kommunistischer Manier abwechselnd als profaschistisch, koninformistisch, irredentistisch, konterrevolutionär oder sezessionistisch verunglimpft und brutal niedergeschlagen. Mit Milosevic setzte eine Hetze auf die albanische Führung ein, auf die Presse, die Intellektuellen, die Schriftsteller und Studenten. Das kurze Zeitfenster, als die Albaner in Jugoslawien ihre Heimstätte auf der Basis der Gleichberechtigung gefunden zu haben glaubten, hat Serbien mutwillig zugeschlagen und eine ganze Volksgruppe als Paria verstoßen. Als ihre Autonomie aufgehoben wurde und das alte Jugoslawien politisch abdankte, sahen sich die Albaner nur noch als Besiegte und Beleidigte in einem nationalistisch aufgeputschten Serbien, in dem für sie kein Platz war.

Wenn Kosovo nach vielen Mühen und unter internationaler Unterstützung in einem vereinten Europa zu einem wirklichen Staat wird, kann man in ihm auch eine Schutzzone sehen, wie sie andere Nationen nach schwerer Verfolgung auch schon zugestanden bekommen haben.

19.2.2008

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