Einen
Tag vor Weihnachten hat mich in meiner Billa-Filiale ein
spanhölzernes Steigerl mit CLEMENTINEN (Herkunftsland Spain,
kernlos) verführt, obwohl ich nicht genau wusste, was Clementinen
sind. Mandarinen, Tangerinen, Nektarinen, Serpentinen, Satsumas
kenne ich, Clementinen nicht, schon wieder eine neue Züchtung?
Oh my darling, oh my
daarling, oh my daaarling, Clementine!
Das Lied mit diesem Refrain haben wir gern geschmettert. Aber die
Clementine im Lied ist doch in ganz anderer Typ.
Die Früchte im Steigerl sehen
schön und einladend aus. Eine Verführung, der ultimative Traum
vom Süden in unseren lichtarmen Tagen, das Versprechen eines
strahlend blauen Himmels, mit Wärme leichtem Wind und
Meeresrauschen.
Sie sind etwas größer als
Mandarinen und fast rund, durchgehend knall-orange wie eine
Clowns-Perücke, glänzend wie mit Schweinespeck eingeschmiert,
geschmückt mit Zweigen und immergrünen Blättern, alles direkt
dran an den Früchten, wie gerade selbst vom Baum gepflückt. Die
können das, die Kaufverführer aller Nationen.
Wer
das macht in Spain, pflegt und erntet, wie und unter welchen
Bedingungen, wir wissen es, aber angesichts dieses orange-grünen
Versprechens waren alle Vorsätze wie weggewischt, dass ich aus
Spain nichts mehr kaufen darf.
Nach
all diesen vorbeihuschenden Fragen, Einsprüchen und Überlegungen
stelle ich das Körbchen in meinen Wagen.
An
der Kasse frage ich die Kassierin, was denn Clementinen sind. Ich
kenne die Frau schon lange, eine freundliche Frau, der man ihre
ostdeutsche Herkunft bei jedem Atemzug anhört. Sie pflegt einen
speziellen Humor, etwas rau, aber sie hat für jeden Kunden ein
freundliches Wort, lacht gern und trägt immer einen Scherz auf den
Lippen. Ich glaube, dort heißt es, sie hat Lippe. Fast Wienerisch.
Ich finde es immer noch toll, dass wir Einwanderer aus der früheren
DDR in Wien haben. Was da wohl für ein Lebenslauf dahintersteckt?
Ich habe mich aber nie danach zu fragen getraut. Schade.
Auf
meine Frage nach den Clementinen lacht sie mir offen und schallend
ins Gesicht : " Dos frogens ausgerechnet mich? Wie soll ich
dos wissen, Clementinen, hahaha, ich kannte ja bis vor kurzem
nitamol Bananen!" Die Mauerfall-Begrüßungsgeschenke sind
lange her, sie hat sie nicht vergessen und ich auch nicht, die Bilder
von den von Wessis als Willkommensgeschenk verteilten Bananen. Sie
nimmt es ihnen offenbar bis heute nicht übel.
Herrlich,
diese Frau gehört auf eine Bühne mit politischem Kabarett, auf
Deutsch KAbarettth
oder Comidi.
Übrigens,
bei meinem Clementinen-Steigerl-Kauf habe ich mich völlig
übernommen. Ich war über Weihnachten schwer verkühlt, sagte alle
Besucher und Besuche ab, nahm nur das Lebensnotwendige zu mir, weil
nichts wirklich schmeckte und vor allem die Zitrusfrüchte auf den
aufgesprungenen Lippen brannten. Die Schnupfennase und alles
drumherum sowieso. Sogar die Hektoliter Tee habe ich nur mit Honig,
ohne Zitronen und Clementinen, geschlürft.
Als
es mir etwas besser ging und ich aus den verschlierten Augen
herausschauen konnte, schritt ich zur Tat, nachdem diese
wunderschönen Clementinen-Darlings jeden Tag mindestens eine neue
faulige produzierten. Ich nahm das den darlings ziemlich übel,
hatte ich sie doch auf dem farblich mit dem Gedeck, den Gläsern,
den Küchenwänden und dem Tischtuch abgestimmten so drapiert, dass
keine die andere berührte. Also ziemliche Prinzessinnen auf der
Erbse, nicht vertikal wie im Märchen, diese Clementinen.
Oh
my darling, Clementine.
Ich
griff zum Messer und zerschnipselte die Clementinen samt und sonders,
verrührte sie und verkochte und passierte sie gleich zweimal,
einmal mit dem Mixstab, dann noch einmal mit der flotten Lotte. Ich
versetzte den Brei neben Gelier- noch mit Vanillezucker und
Tortengelee, Ingwer, Gewürznelken, Kardamom und Citronat. Im
Übermut fügte ich noch ein kleines Stück Bitterschokolade,
Akazienhonig, einen Kaminzauber-Teebeutel, ein paar Rosinen und einen
Teelöffel Cognak hinzu. Mehr Gutes fand ich nicht im Haus oder in
meinem Schnupfenkopf.
Schließlich konnte ich zwölf
Gläschen mit Clementinen-Gelee befüllen und beschriften mit
„Clementine, 31.12.16“- der Geburtstag meiner Schwester Hedwig.
Wie diese Multi-Kombi-Marmelade wirklich schmeckt, konnte ich noch
nicht erforschen. Die Geschmacksknospen sind noch immer
beeinträchtigt. Aber sie durchzog die Wohnung mit einem feinem
Duft, einem Parfum, dem ich den Namen der „Sehnsucht nach dem
Süden“ gab. . Das Land der Sehnsucht mit der Seele der
Clementinen suchen. Wer nie das Brot mit Tränen aß.
Vielleicht dufteten sie sogar bis nach draußen, aber das hätte
nur ein gesunder Besucher vor der Tür feststellen können. Mit
großem Vergnügen und Genugtuung betrachte ich die Reihen mit den
zwölf Gläschen in der Farbe von gesättigtem Bernstein, 44
Millionen Jahre alt. Ich habe das Clementinen-Steigerl verewigt.
Erst als ich mich heute fast
vollständig gesund fühlte, ging ich ans Googeln: „Eine
Clementine ist eine Hybride zwischen
Mandarine und
Pomeranze.“ Aha,
und was ist eine Pomeranze? Du blöde oder eingebildete
Pomerantschn, das war einmal vor undenkbar langen Zeiten ein
ländliches Schimpfwort, ich glaube, hauptsächlich zwischen
weiblichen Kampfhennen. Ähnlich veraltet wie du Kuh, du Ziege, du
Gans. Die bei uns neu angekommene Orange, die Pomeranze als
beneidete Konkurrentin des gemeinen Apfels? Der Paradiesapfel.
Tussi würde man heute wohl sagen.
Heute ging ich erstmals im
Neuen Jahr auf die Straße und wollte mich bei der lustigen
Kassierin mit einem Gläschen meines Clementinen-Gelees bedanken.
Und siehe da, die Billa-Filiale bei mir an der Ecke zur Mozartgasse
wurde geschlossen und ist vier Straßenbahnstationen weiter die
Wiedner Hauptstraße hinauf übersiedelt. Für mich heute zu weit
für dieses junge Jahr und meine schwache Gesundheit.
Irgendwann werde ich es einmal
zum Wiedner Gürtel hinauf schaffen.
In der kurz vor Weihnachten
eröffneten Spar-Gourmet-Filiale genau gegenüber kaufte ich dann
als Eröffnungsangebot ein Körbchen mit Rudolfinen.
Veronika Seyr
2.1.17
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